Zeugen der Seefahrtsgeschichte in der Nordsee
An kaum einem anderen Ort an der Westküste Schleswig-Holsteins gingen so viele Schiffe verloren, wie vor Amrum. Der Sturm trifft unmittelbar auf die Insel, die Strömungen sind tückisch, die wandernden Sandbänke und Untiefen manchmal ein Verderben für die Seefahrer – Amrum, das ist auch die Insel der Strandungsfälle. Und ein perfekter Platz, um von diesen Geschichten zu hören. Ein schöner und wildromantischer Ort ist Amrum sowieso. Inselchronist Georg Quedens hat ein Buch geschrieben, in dem die spannendsten und spektakulärsten Schiffsunglücke dokumentiert sind.. Und gestrandet und verloren waren nicht nur die Segler ferner Zeiten. Spätestens seit 1998 verbindet man Amrum auch mit Schiffswracks – am 29.10.1998 strandete sechs Seemeilen westlich der Insel der brennende Holzfrachter „Pallas“. Und brachte den Bezug Amrum und Schiffstrandungen ins bundesdeutsche Bewusstsein. Es ist der bislang größte Fall dieser Art an der deutschen Nordsee-Küste. Früher lockten die Insulaner Schiffe mit falschen Feuern ins Verderben, um Beute zu machen. Später, unter behördlicher Obhut, machten sie mit legalen Bergungsarbeiten immer noch gutes Geld, mitunter ein Vermögen. Heute gibt es nur noch sehr wenige Zeugen, Wracks, dieser Tragödien zu sehen – sie liegen weit draußen, sind versandet und wieder versunken. Aber mit dem Buch „Schiff auf Strand! – Amrumer Strandungsfälle“ von Georg Quedens im Rucksack, lohnt sich eine Wanderung durch die phantastische Dünenlandschaft der Insel Amrum hinunter zur Nordsee. Mit Blick auf das tobende Meer, unter rasenden Wolken, in der stürmischen Einsamkeit da draußen am Kniep, werden diese Geschichten wieder lebendig. Man spürt die Dramatik. Und wer dann am Nehrungssee am Dünendurchgang steht und auf die See blickt, wird mit dem Fernglas in süd-südwestlicher Richtung vielleicht in der dort tobenden Brandung etwas entdecken – das Wrack der „Pallas“. Und den Geschichten der Schiffstrandungen und Wracks an der Nordsee wohl nirgendwo näher sein, als hier auf Amrum.
Wattführung zur „City of Bedford”
Der Wind jagt die Wolken über das Meer, die verbliebenen Wasserflächen im Watt sind beinahe kabbelig, in den Prielen läuft das Wasser ab. Die kleine Gruppe marschiert schweren Schrittes durch diese wilde Wattenwelt, scheinbar unterwegs von Irgendwo nach Nirgendwo. Tatsächlich sind sie unterwegs von Amrum nach Föhr, und Nationalpark-Wattführer Dark Blome macht diese Tour auch im Winter. Wer ein Wrack sehen will, und das richtig weit draußen, mitten in den Elementen und schaurig-schön – der muss mit.
Dark Blome erzählt die Geschichte, so wie sie ihm erzählt wurde. „Dies ist das Wrack der City of Bedford, sie verunglückte am 2. Februar 1825“, sagt Dark Blome, er steht zwischen den Holzspanten des Unglückschiffes. Viel zu sehen gibt es nicht, aber eine Geschichte zu hören: „Sie war unterwegs von England nach Dänemark und hatte vermutlich Salpeter geladen. Die ,City of Bedford´ geriet in einen Sturm und konnte offenbar nicht dagegen an manövrieren.“ Sturm und Strömung trieben Schiff und Besatzung ins Verderben. Als das Schiff in das Labyrinth aus Prielen und Sandbänken zwischen den Inseln Amrum, Föhr und Sylt getrieben wurde, hatte es keine Chance – ein Freisegeln war nicht mehr möglich. „Drei Seeleute kamen ums Leben, sie sind auf dem Friedhof in Süderende auf Föhr bestattet. Drei Männer der Besatzung und ein Passagier haben das Unglück überlebt“, sagt Dark. Ein paar kümmerliche Überreste des Wracks hier draußen lassen das Schiff erahnen und erinnern an diese Tragödie, die beim wispernden Wind und schwappenden Wasser in totaler Einsamkeit so seltsam nah und lebendig ist. Und weitererzählt wird. Nicht wenigen Besuchern läuft ob dieser Atmosphäre ein Schauer über den Rücken. Die rettenden Inseln Amrum und Föhr sind zwar noch gerade zu erkennen, doch wer den Weg nicht kennt…! Die Gruppe kann nach Amrum nicht zurück, der dortige Priel ist längst wieder zu tief und würde Jeden unweigerlich hinaus aufs Meer ziehen. Es geht jetzt nur noch nach Föhr; und das in einem großen Bogen. Die Direkte ist ebenfalls durch einen tiefen Priel versperrt – das konnte die Besatzung der „City of Bedford“ nicht wissen. Verloren ist der ohne Ortskenntnis. Und die Gruppe muss los, die Nordsee wartet nicht. Und sie verzeiht keine Fehler.
Die Rungholt-Tour
Auch im Watt vor Nordstrand liegt ein Wrack, das im Rahmen geführter Touren (von Mai bis Ende September) besichtigt werden kann: Es geht über die Wattfläche nach Westen, Christine Dethleffsen führt ihre Gruppe bis an den Priel. Links liegt die Hallig Südfall, rechts die Insel Pellworm. Start der Wanderung war Nordstrand. Diese Gegend birgt manches Geheimnis im Wattboden – hier soll einst das legendäre Rungholt untergegangen sein, die Gruppe ist auf dem Rückweg der „Rungholt-Führung“. Und hier liegt noch mehr: knietief das Wasser im Priel und plötzlich ragen ein paar Holzspanten wie ein Gerippe aus dem Wasser – ein unbekanntes Wrack. „Das gehört zum Bug eines Lastenseglers“, sagt Christine Dethleffsen, „der lief um das Jahr 1900 hier während eines Sturms auf Grund oder ging unter.“ Ganz genau kennt wohl niemand die Geschichte dieses Schiffes, auch den Namen und das genaue Datum der Havarie nicht. Doch auf jeden Fall so viel: „Beladen war das Schiff mit Schleusentoren, es war unterwegs von Husum zu den Halligen. Dann geschah hier das Unglück. Den Schiffsjungen oder seine Leiche hat niemand gefunden. Der Kapitän aber kannte dieses Seegebiet: Als das Wasser stieg, hat er sich an den Mast gebunden und so das Hochwasser unbeschadet überstanden. Bei Niedrigwasser ist er nach Nordstrand zurückgegangen. Er soll übrigens zehn Monate später an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben sein.“ Schaurige Geschichte, spannend. Das Wrack liegt quer zum Priel; geht mal unter, taucht wieder auf. „In manchen Jahren kannst Du das Wrack kaum erkennen, dann ist es total eingesandet. In anderen Jahren liegt es wieder deutlich zu erkennen im Priel – mal zeigt es sich, mal nicht.“ Ein ziemliche Spökenkiekerei diese Geschichte; mal ist es da, dann wieder nicht. Gruselig beinah. Mysteriös das Ganze. Und wer bekommt nur eine Gänsehaut allein vom kühlen Nebel?
Zwei Wracks vor Sylts Küste
Die Braderuper Heide auf Sylt ist wildromantisch, das Kliff fällt zum Wattenmeer ab, im Osten ist die dänische Küste zu erkennen. Und knapp 200 vor der hiesigen Küste ragen Planken aus dem Schlick – in der Form unverkennbar sind dies die Überreste eines Schiffes. Es ist das Wrack der „Mariann“, ehemals ein stattlicher Drei-Mast-Schoner aus Schweden, ursprünglich transportierte dieses Schiff Getreide. Und die Geschichte der „Mariann“ ist kurios, der ursächliche Grund für den Untergang scheint bis heute ungeklärt. Doch von Anfang an: Nach dem Krieg lag das Schiff ungenutzt in Schweden, Anfang der 1960er Jahre schleppten Mitglieder einer Sylter Künstlergruppe die „Mariann“ in den Hafen nach Munkmarsch. Ein Café wollte sie auf dem Segler eröffnen, das verboten die Behörden. Daraufhin gelangte die „Mariann“ in das Braderuper Watt und ging vor Anker. Einen Ort für Kabarett-Auftritte könne man dort nun eröffnen – am besten mit einem Steg für die Gäste; das untersagten die Behörden erst recht. Gefeiert wurde auf der „Mariann“ trotzdem – bis 1981 war der gestrandete Segler hin und wieder ein Platz für private Parties. Dann brannte die „Mariann“ bis an die Bordwand nieder – aus ungeklärten Ursachen. Die allermeisten Schiffe an der Nordsee gingen im Sturm unter oder liefen im Nebel auf Grund – die „Mariann“ aber, Segler mit außergewöhnlicher Geschichte, fand ein ungewöhnliches Ende, ist heute bis auf den Grund verrottet und eingeschlickt. Zum Wrack zu laufen, lohnt sich nicht – verboten ist es ohnehin -, es gibt nichts zu sehen und es lauert knietiefer Schlick.
Plötzlich ragten meterlange Holzplanken aus dem Sand – teilweise verborgen im Sand, der Rest sichtbar nur bei Ebbe: Ein neues Wrack ist aus der Nordsee aufgetaucht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass an der Nordsee-Küste Schiffswracks auftauchen (und ebenso wieder in den Fluten oder im Sand untergehen). So wie im Oktober vor Hörnum – dort fanden Spaziergänger unlängst ein untergangenes Schiff. Die Südspitze der Insel Sylt unterliegt derzeit einem deutlichen Abtragungsprozess. Dabei kann Verborgenes und Untergangenes wieder ans Licht kommen. Zu sehen ist das Wrack nur bei tiefer Ebbe. Das Holzschiff stammt vermutlich aus dem 17. Jahrhundert. Dabei handelt es sich um ein Plattbodenschiff aus Eiche und Nadelholz. Die sei typisch für diese Region, erklärte eine Sprecherin des Archäologischen Landesamtes. Wahrscheinlich diente dieses Schiff zum Transport von Waren, solche Schiffe – Tjalks oder Ewer – waren einst die „Arbeitstiere“ in den küstennahen Gewässern. Derzeit wird das gefundene Wrack untersucht und vermessen, eine 3-D-Ansicht soll erstellt werden, um mehr über dieses Wrack zu erfahren. „Bergen werden wir es wohl nicht“, sagt Birte Anspach vom Landesamt, „Ausgrabung, Transport und Konservierung sind sehr aufwendig – deshalb untersuchen wir es vor Ort.“ Für Spaziergänger gilt (hier und an anderen Wracks): Finger weg! Wer es beschädigt oder Teile davon abbricht, macht sich strafbar. Schon vor rund dreißig Jahren tauchte an ähnlicher Stelle vor Hörnum ebenfalls ein Wrack aus dem Sand auf: 15 Meter lang, aus Eichenholz. Auch damals entschieden die Fachleute, das Wrack nach der Untersuchung dort zu belassen – bis es wieder verschwand. Und es nun wieder auftauchte …? Die Nordsee, so viel ist klar, birgt noch manches Geheimnis.
Lesetipps
Georg Quedens, „Schiff auf Strand! – Amrumer Strandungsfälle“
Clas Broder Hansen „Gestrandet vor Amrum“
Weitere Infos unter www.nordseetourismus.de
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